Jazz im Grünen
Ein pfälzer Musikverein und ein Jazzfestival – Kann das gutgehen?
Von Dr. Joachim Baumann
Es war auf einer herbstlichen Fahrradtour des Musikvereins 1974 durch den Schifferstadter Wald, man schrieb das Jahr 1985. Es waren wohl so zwischen vierzig und fünfzig entspannte Radler, die in der sonnigen Herbstluft locker in die Pedale traten. Die Stimmung war gut, es wurden Witze gerissen und viel gelacht. Unter den Fahrradfahrern waren auch ein paar Musiker, begeistert von den Ideen für ihre neue Band. Was sie verband war die aktive Mitgliedschaft im Musikverein 1974 und ihre Liebe zum Jazz, der sie bis dahin in der Kaiserslauterer Uni Big Band frönen konnten. Es waren Thomas Waldmann, Wolfram Jilg, Herbert Schläfer und die Brüder Patrik und Joachim Baumann, die sich mit Wolfgang Keiper und Stefan Ronge kurzerhand zusammentaten und seither wöchentlich im Musikheim an ihrem Swing und Dixie bastelten. Während sie so durch den Pfälzer Nachmittag dahinradelten, wurde so manche Idee geboren und diskutiert und wieder verworfen, aber vor allem eine Frage fand höchstes Interesse: „Wie soll die Band eigentlich heißen?“. Noch bevor das Musikheim erreicht wurde, hatte man sich geeinigt: Golden Hat Dixie Ramblers wollte man sich nennen, um in künftige Geschichtsbücher des Jazz einzugehen. Zum Abschluss der Fahrradtour bei Gegrilltem, einer Schorle oder einem Bier, wollten die sieben jungen Musiker ihre Band zum ersten Mal ihren Musikvereinsfreunden vorstellen. Beim gelungenen und mit sehr viel Beifall aufgenommenen Auftritt im Musikheim „prangte“ dann auch stolz auf einer Tafel der Name der Band über einem stilisierten „Goldenen Hut“.
Der Anfang war gemacht, aber wie sollte es mit der Band weitergehen? Um auf die Jazzfestivals von Berlin oder Montreux oder zum Mardi Gras in New Orleans eingeladen zu werden, bedarf es auch heutzutage noch eines gewissen Bekanntheitsgrades. Da keinerlei Erfahrung mit anderweitigen Jazzveranstaltungen vorlag und keiner der Dixie Ramblers über die nötigen „Connections“ verfügte, entschloss man sich ganz einfach selbst ein Festival zu veranstalten.
Zusammen mit dem Musikverein 1974, „warum ach net?“ war der einstimmige Tenor, „’s kann net so schwer soi“. Ein Open-Air-Festival sollte es sein, mit einem ganztägigen Musikprogramm. Keine simple Alternative zum Musikfest, sondern etwas Neues, völlig anderes. Der Musikverein 1974 hatte das ideale Areal dafür, einen wunderbaren Rasen rund ums Musikheim, idyllisch umrahmt von Birken und Pappeln. Ein Fest sollte es werden, das Menschen zusammenbringt, die Jazz lieben oder kennenlernen wollen. Die Golden Hat Dixie Ramblers sollten ihren ersten großen öffentlichen Auftritt haben. Man wollte soviel wie möglich anbieten: vom Quartett bis zum Big-Band-Sound, vom Swing zum Bebop und zurück zu den „roots“ des Ganzen, dem Blues. Ein Tag voll Jazz im Grünen sollte es sein.
1986. Das erste Jazz im Grünen
Einen Winter und einen Frühling lang waren die Golden Hat Dixie Ramblers mit viel Elan bei der Probenarbeit. Man fand Gefallen an recht akzeptablen Interpretationen von allerlei Swing- und Dixietiteln und stellte ein ansehnliches Programm zusammen. Was zum ersten großen Auftritt im selbstgebastelten Festival allerdings noch fehlte, waren ein paar Dinge, Kleinigkeiten wie Organisation, Werbung und andere Bands.
Die Bands
Kontakte gab es zu einer ganzen Reihe von Musikern der Umgebung. Einer der fruchtbarsten war der zu Wolfgang Stadler von der Mechtersheimer (pfälzisch: „Meedersche“) „Owwergass Blues Band“, die nahe der Owwergass in eben jenem vorderpfälzischen Dorf probte. Wolfgang erklärte sich schnell bereit, mit der „Owwergass Blues Band“ aufzutreten und die Lautsprecheranlage für Jazz im Grünen bereitzustellen. Damit konnten auch die anderen auftretenden Bands abgemischt werden. Bis heute hat Wolfgang Stadler sehr vielen Jazz im Grünen, entweder als aktiver Musiker in einer Band oder als Besucher teilgenommen. Die Organisatoren von Jazz im Grünen sind ihm nach wie vor sehr verbunden. Als nächstes erkundigte man sich bei Georg Scheuerlein, dem Leiter der Big Band des Gymnasiums Schifferstadt, bei Joachim Lill von der lokalen „Babylon Jazz Band“ und bei „Blues und Bloedel“ aus Speyer, über deren Interesse und Konditionen für einen Auftritt. Nach spontaner Zusage konnte die Organisation der Veranstaltung in Angriff genommen werden.
Die Organisation
Wie war das nun mit der Organisation und der Finanzierung? Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die jungen Enthusiasten lediglich über die Musik nachgedacht, wussten aber aus Erfahrung von Veranstaltungen, wie dem Musikfest des Musikvereins 1974, dass da eine ganze Menge Arbeit auf einen wartete. Auch blieb zu bedenken, dass man sich bis dato noch nicht so recht mit den Verantwortlichen des Musikvereins 1974 ausgetauscht hatte, obwohl bereits ein Wunschtermin, Ende Juni, feststand und das Jahr einigermaßen fortgeschritten war. Nachdem man sich mit dem damaligen Stadtjugendpfleger Manfred Scharfenberger über eine mögliche finanzielle Unterstützung unterhalten hatte, wandte man sich an die Mitglieder des Vorstandes. Und so taten sich der Vorstand des Musikvereins 1974, die Stadtjugendpflege und die Mitglieder der Golden Hat Dixie Ramblers zusammen, um das erste Jazz im Grünen auf den Weg ‚zu bringen. Zu organisieren gab es eine Menge. Die Bühne wurde aus Europaletten der Firma Edwin Mayer und Schaltafeln der Baufirma Heberger konstruiert. Stühle, Tische, Waldfestgarnituren, Sonnenschirme, Zapfanlagen, Gläser und Getränke wurden von der Firma Bernatz geliehen. Es wurden Marktschirme für den Sonnenschutz besorgt und die Dekoration des Geländes und der Bühne übernommen. Die Stadtjugendpflege Schifferstadt organisierte ein Rahmenprogramm für Kinder, das sich im Laufe der Jahre zu einem festen Bestandteil des Festivals integrieren sollte. ,Mit einer langen Liste von ehrenamtlichen Helfern waren damals – und sind bis heute – mehr als drei Tage für den Auf- und Abbau zu investieren.
Die Werbung
Ein Festival bedarf der Öffentlichkeitsarbeit. Seit seiner Gründung wurden für Jazz im Grünen jedes Jahr liebevoll Plakate hergestellt. In den Anfangsjahren waren diese gestylt vom ehemaligen Mitmusiker Wolfgang Selbach, später von externen Grafikern. In lokalen Zeitungen wie dem Schifferstadter Tagblatt und der Rheinpfalz erschienen Artikel und es wurden Anzeigen geschaltet.
Das Programm verhieß Musik von 10 Uhr morgens bis 22 Uhr abends mit dem Musikverein 1974, der „Big Band des Gymnasiums Schifferstadt“, den Golden Hat Dixie Ramblers, der „BabyIon Jazz Band“, der „Owwergass Blues Band“ und „Blues und Bloedel“.
Der große Tag
Und so kam er denn der große Tag. Seit früh um sechs Uhr wimmelte es im und um das Musikheim herum von eifrigem Tun. Waldfesttische, Bänke und Sonnenschirme wurden aufgestellt, Essen- und Getränkestände eingerichtet, Gläser gespült, Bierfässer angezapft, Kuchenspenden von Mitgliedern zu einem Buffet angerichtet. Die größte Sorge aller Beteiligten war: „Wird das Wetter halten?“ Als Open-Air-Veranstaltung machte man sich natürlich vollständig abhängig von Petrus und ein verregneter Tag würde all die Anstrengungen zunichte machen. Zudem hatte nur eine gelungene Veranstaltung Aussichten auf eine Wiederholung im nächsten oder übernächsten Jahr. Wolfgang Stadler und Hansi Weiss brachten ihre PA-Anlage, und nachdem sie die Bühne mit Mikrophonen, Lautsprechern und den notwendigen Kabeln versorgt hatten, platzierten sie sich hinter ihrem gigantischen Mixboard in einigem Abstand zur Bühne und harrten der Geschehnisse. Was jeden beschäftigte und eifrig diskutiert wurde, war die Frage, wie viele Zuschauer kommen würden und ob es all die Mühen wert war.
Es sollte sich lohnen. Nachdem der Musikverein 1974 ein zünftiges Eröffnungskonzert gespielt hatte und sich die „Big Band des Gymnasiums Schifferstadt“ auf ihren Auftritt vorbereitete, waren viele der an die dreihundert Plätze bereits besetzt. Es wurde ein sonniger, heißer Tag und viele der Besucher suchten einen Platz im Schatten. Sehr viele kamen auf Fahrrädern angeradelt und brachten Decken mit, um sich auf dem Rasen niederzulassen. Es waren sehr viele Schifferstädter, aber auch sehr viele Besucher von außerhalb. Die Kinder eilten zur Spielecke, die sehr schnell begeisterten Anklang fand. Die Big Band spielte mit frischem Swing auf und man konnte viele Füße wippen sehen. Auf den Tischen standen Gläser mit frischem Bier, Schorle oder Sprudel, denen eifrig zugesprochen wurde. Das Kuchenbüffet erwies sich als Renner und man kam der Nachfrage nach Kaffee kaum nach. Die Meister am Grill und die Küchenchefs an den Servelatkochern hatten alle Hände voll zu tun.
Das Wichtigste jedoch war die Musik und damit auch der erste Meilenstein für die jungen Golden Hat Dixie Ramblers. Kaum waren die ersten paar Stücke gespielt, verbreitete sich unter den Zuhörern das „Dixiefieber“, eine Art positive Entspannung mit spontanen Beifallskundgebungen für Solobeiträge, begleitet von heftigem Füßewippen, Fingerschnippen und fröhlichen Gesichtern. Die Dixie Ramblers spielten ihre Musik, fetzige Swing- und Dixietitel gemischt mit Blues. Für die Musiker ist der Eindruck bis heute unvergessen, das brandende Geräusch des Applauses von Hunderten von Zuschauern zu hören, die über das Festivalgelände verteilt waren. Es wurde ein großer Erfolg für die Dixie Ramblers und sie konnten die Bühne nicht ohne Zugabe verlassen.
Im Verlauf des Nachmittages entwickelte sich die einzigartige Jazz im Grünen-Stimmung unter den Besuchern, den Musikvereinlern und den Musikern, die an ein großes Familienfest und eine Party zugleich erinnerte und das Festival über all die Jahre hinaus begleiten sollte.
Im Anschluss spielte die „BabyIon Jazz Band“ unter Joachim Lills Führung eine exzellent dargebotene Mischung von Jazzstandards – Musik eben, die von Melodie, Harmonie, Rhythmus und Improvisation lebt. Für manchen ungeübten Zuhörer ergaben sich bei diesem Life-Erlebnis von Jazz im Reinformat durchaus Fragen zu dessen Legitimität an diesem Tag und diesem Ort. Es eröffnete sich so manche Debatte, warum man sich solch „e schrägi Musigg“ denn anhören sollte, man war ja schließlich gekommen, um Unterhaltung zu finden. Es war dies der Beginn der programmatischen Gratwanderung für die Organisation von Jazz im Grünen, eine Frage der Publikumsakzeptanz, die fortan jedes Jahr gestellt werden musste. Natürlich musste „richtiger“ Jazz angeboten werden, um eben mehr als ein „Waldfest“ zu sein und die „BabyIon Jazz Band“ erfüllte diesen Anspruch hervorragend.
Die „Owwergass Blues Band“ aus Mechtersheim war eine achtköpfige Bluesband, die vom Sänger und Gitarristen Wolfgang Stadler gegründet worden war. Sie hatte sich dem Rhythm ’n‘ Blues verschrieben mit einem vielseitigen Repertoire und einem fetzigen Bläsersatz, in dem der Chronist als Saxophonist agierte und der Dixie Rambler Wolfgang Keiper in der Rythm Section den Bass spielte. Es sollte sich an diesem Tag zeigen, dass sich Jazz und Blues ausgezeichnet ergänzen und der Auftritt der Band wurde als ein weiterer Höhepunkt des Festivals gewertet. „Blues und Bloedel“ aus Speyer waren seit jeher ein „Unikum „mit ihren hausgemachten Bluesstücken, die von humorvollen pfälzer Mundarttexten getragen wurden.
Bis weit nach 22 Uhr dauerte ihr Auftritt und es war ein gelungener Abschluss für ein gelungenes Fest. Für all die freiwilligen Helfer hieß es dann, das Meiste, was morgens aufgebaut worden war, wieder abzubauen und in das Innere des Musikheims zu bringen. Bis weit nach Mitternacht dauerte der Abbau und die abschließende Fete, die Stimmung war überschäumend und die Pläne für das nächste Jazz im Grünen überschlugen sich bereits.
Las man die Beiträge der Presse im Schifferstadter Tagblatt und der Rheinpfalz in den folgenden Tagen, konnte man die letzte Gewissheit erhalten, dass sich all die Arbeit gelohnt hatte. Es hieß, dass das erste Jazz im Grünen ein großer Erfolg war für den Musikverein 1974, die Stadtjugendpflege und die Stadt Schifferstadt. Das Experiment war gelungen, die Fortsetzung im nächsten Jahr gesichert.
Die weitere Entwicklung von Jazz im Grünen
Über die darauf folgenden Jahren hat sich Jazz im Grünen als fester musikalischer Bestandteil des kulturellen Lebens in Schifferstadt etabliert und ist nach wie vor mit seiner familiären Atmosphäre ein Publikumsmagnet.
Die viele Arbeit hat die Organisatoren und Helfer des Musikvereins daher nie abgeschreckt, auch wenn das eine oder andere Festival wegen schlechten Wetters oder einem gleichzeitig stattfindenden Fußball-Länderspiel finanziell ein Reinfall war. Entscheidend war dabei immer, dass es nicht nur den Zuschauern viel Spaß gemacht hat, sondern auch den Organisatoren und Helfern.
Nicht zuletzt wegen der langjährigen Geschichte des Festivals sieht es der Musikverein 1974 es mittlerweile als Verpflichtung seinen Fans gegenüber an, das Festival auch künftig zu organisieren.
Jazz im Grünen ist Mitglied der Jazz Alliance Initiative der Metropolregion Rhein-Neckar.
Die Helfer und Unterstützer
An der Stelle möchte der Musikverein 1974 ausdrücklich nochmals allen Helfern und Unterstützern ein herzliches Dankeschön sagen. Es wäre schlichtweg nicht möglich, die Veranstaltung ohne tatkräftige Unterstützung durch viele helfende Hände stemmen. Darüber hinaus haben auch viele Spender Jazz im Grünen finanziell unterstützt und tun dies bis heute. Damit leisten sie einen sehr großen Beitrag, die Kosten z.B. für Bühne, Beschallung, Gagen und Werbung zu finanzieren und sichern damit entscheidend die Zukunft von Jazz im Grünen.